10.07.2018 ENSURE

Phase 1: Storylines für die Zukunft der Energiewende

Das Projekt ENSURE hat in Phase 1 eine Gruppe von gesellschaftlichen Stakeholdern eingeladen, alternative Zukunftsbilder für die Energiewende zu entwickeln. Diese überwiegend qualitativ beschriebenen „Storylines“ mit Fokus auf das Jahr 2030 liegen nun erstmals vollständig vor. Sie zeigen die Bandbreite der künftig möglichen Entwicklungen, die eine wichtige Orientierung für die Arbeit des Kopernikus-Projekts für die Energienetze der Zukunft darstellen.

Das Bild zeigt Menschen, die hinter einem Tablet diskutieren.
Foto: Ute Grabowsky/ FONA/ photothek.net

Es gibt derzeit keinen gesellschaftlichen Konsens über die weitere Ausgestaltung der Energiewende. Daher sollen mit den Storylines Optionen für die künftige Entwicklung der Energiewende definiert werden, die in sich konsistent sind und einen Raum an Zukunftspfaden beschreiben, die als gesellschaftlich akzeptabel angesehen werden können.

Statt bereits vorhandene Experten-Szenarien zu verwenden oder solche Szenarien selbst zu entwickeln, hat ENSURE eine Gruppe von Stakeholdern eingeladen, über alternative Zukunftspfade, ihre Rahmenbedingungen und Treiber zu diskutieren und gemeinsam die Storylines festzulegen. Damit sollen eine gute gesellschaftliche Rückkopplung und auch eine größere Legitimation der Zukunftsbilder geschaffen werden. Die Storylines stellen insofern nicht die Auffassung des ENSURE-Konsortiums dar, sondern diejenige der Stakeholder. Die Gruppe besteht aus insgesamt elf Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Wirtschaft, Energie, Umwelt, Flächenbesitzern und weiteren wichtigen gesellschaftlichen Gruppen.

In fünf teilweise mehrtägigen Workshops mit fachlicher Begleitung durch das Öko-Institut, KIT-ITAS und die Deutsche Umwelthilfe haben die Stakeholder die folgenden vier Storylines für das Jahr 2030 festgelegt. Alle Storylines basieren auf stabilen gesellschaftlichen Entwicklungen wie moderatem Wirtschaftswachstum und einer auf 82 Mio. Personen leicht wachsenden Bevölkerung.

A)    Referenzentwicklung gemäß Netzentwicklungsplan

Charakteristisch für diese Storyline ist eine relativ moderate CO2-Minderung um etwa 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990, die bis zum Jahr 2030 angestrebt wird. Diese Entwicklung orientiert sich am Szenario B 2030 des kürzlich von der Bundesnetzagentur genehmigten Szenariorahmens für den Netzentwicklungsplan 2019 sowie auf dem Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung. Im Stromsektor wird hierzu der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch auf 65 Prozent erhöht und die Leistung der Kohlekraftwerke gegenüber dem Stand des Jahres 2017 um fast 60 Prozent reduziert. Die Storyline A weicht jedoch in einigen Aspekten vom Szenariorahmen des Netzentwicklungsplans und den Zielen des Klimaschutzplans 2050 ab: So wird unter anderem von einer etwas höheren Bevölkerungsentwicklung ausgegangen. Zudem rechnen die Stakeholder aufgrund der bisherigen Entwicklung der Emissionen im Verkehrssektor nicht damit, dass Deutschland die Klimaschutzziele in diesem Sektor erreicht.

B)    Sehr ambitionierter Klimaschutz

Die Storyline B beschreibt eine Entwicklung, in der Deutschland seine Emissionen entsprechend der Verpflichtungen aus dem Klimaschutzabkommen von Paris drastisch reduziert. Auf Basis einer weltweit einheitlichen Pro-Kopf-Verteilung der nach heutigem Wissensstand bei Einhaltung des 2-Grad-Ziels noch zulässigen Emissionen wurde ein CO2-Budget von 10 Milliarden Tonnen festgelegt, das Deutschland ab dem Jahr 2015 insgesamt noch emittieren darf. Hiervon sind bis heute bereits knapp 30 Prozent aufgebraucht. Daher erfordert die Einhaltung des CO2-Budgets rasche und einschneidende Maßnahmen zur Emissionsminderung. Bis zum Jahr 2030 müssen die Emissionen aller Sektoren um 78 Prozent reduziert werden. Dies lässt sich nur durch System- und Verhaltensänderungen herbeiführen, welche sich an oder auch jenseits der Grenze bisher ausgearbeiteter Energiewendeszenarien bewegen. Die erneuerbaren Energien erreichen einen Anteil von mindestens 82 Prozent des Stromverbrauchs. Sämtliche Kohlekraftwerke werden vor dem Jahr 2030 abgeschaltet. Zur Erreichung der Klimaschutzziele werden die Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie verstärkt auf Stromanwendungen umgestellt. Zugleich wird der Energiebedarf durch Energieeffizienz und eine bewusst reduzierte Nachfrage verringert, so dass der Nettostrombedarf bis 2030 insgesamt nur um etwa 15 Prozent ansteigt. Soweit wie es zur Erreichung der Klimaziele erforderlich ist, werden synthetische Energieträger auf Basis erneuerbarer Energien insbesondere in den Sektoren Verkehr und Industrie eingesetzt. Diese Energieträger werden vorwiegend aus dem Ausland importiert, da die inländischen Potenziale für erneuerbare Stromerzeugung weitgehend ausgeschöpft sind.

C)    Stärker europäisch orientierte Energiewende mit ambitionierten Klimazielen

Für die Storylines C und D wurden einige Eckdaten einheitlich festgelegt. So orientiert sich die Entwicklung der CO2-Emissionen am Szenario KS 95 der Studie „Klimaschutzszenario 2050“ im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, das bisher eines der ambitioniertesten Energiewendeszenarien ist. Dies entspricht einem CO2-Budget ab 2015 in Höhe von etwa 12 Milliarden Tonnen und einem CO2-Minderungsziel bis zum Jahr 2030 von 67 Prozent. Die Storyline C geht von einer starken europäischen Integration der Strommärkte aus und beinhaltet einen Import von kostengünstig erzeugtem Strom aus erneuerbaren Energien aus dem europäischen Ausland. Im Inland liegt der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bei 65 Prozent. Die benötigten Flexibilitäten im Stromnetz werden zum Teil ebenfalls grenzüberschreitend beschafft. In beiden Storylines C und D wird der Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030 abgeschlossen. Die Wärme- und Verkehrswende werden entsprechend der ambitionierten Klimaziele beschleunigt.

D)    Dezentrale Energiewende mit ambitionierten Klimazielen

Diese Storyline ist in Bezug auf das ambitionierte CO2-Minderungsziel, die Entwicklung des Endenergiebedarfs (einschließlich der Stromnachfrage) und den Kohleausstieg bis 2030 identisch mit Storyline C. Anstelle einer verstärkten europäischen Integration der Strommärkte setzt die Storyline D jedoch auf eine möglichst dezentral ausgestaltete Energiewende. Mit den dezentralen Strategien wird das Ziel verfolgt, den Ausbaubedarf im Übertragungsnetz für Strom zu begrenzen und die Stromerzeugung möglichst vor Ort durch regionale Akteure zu organisieren. Dementsprechend werden Windkraft und Photovoltaik vorrangig in räumlicher Nähe der Zentren des Stromverbrauchs ausgebaut, was zu einer Konzentration solcher Anlagen in diesen Regionen führt. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch liegt bei 75 Prozent und Importe von größeren Mengen an Strom aus erneuerbaren Energien sind nicht vorgesehen. Der Einsatz von Kraftwerken und der benötigten Flexibilitäten im Stromnetz erfolgen möglichst lastnah. Auch in dieser Storyline müssen die Wärme- und Verkehrswende entsprechend der ambitionierten Klimaziele beschleunigt werden.

Diese vier Storylines werden im weiteren Verlauf des ENSURE-Projekts in umfassende energiewirtschaftliche Szenarien umgesetzt. Hierzu kommen ein europäisches Energiesystemmodell sowie detaillierte Modelle für die Sektoren Stromversorgung und Gebäude zum Einsatz, die auch den Verkehrssektor und Industrieprozesse umfassend abbilden. In einem weiteren Arbeitsschritt führen die beteiligten Stakeholder derzeit eine differenzierte Bewertung der vier Storylines und der darauf aufbauenden Szenarien durch. Die Ergebnisse von Storylines und Szenarien werden zudem für die Verwendung in anderen Arbeitspaketen des ENSURE-Projekts aufbereitet und zugänglich gemacht.

Eine Arbeitsgruppe aus allen vier Kopernikus-Projekten hat im Mai 2018 vereinbart, die Entwicklung von Storylines für die Zukunft der Energiewende im weiteren Verlauf der Projekte gemeinsam zu koordinieren. Methodik und Ergebnisse der in ENSURE entwickelten Storylines könnten hierfür eine geeignete Grundlage darstellen.

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