14.04.2021 ENSURE, Kopernikus-Projekte

Welche Forschung brauchen wir heute für die Energie von morgen?

Die Kopernikus-Projekte sind Kooperationspartner der Green Shift-Konferenz. Bei der Digitalen Kick Off Konferenz interviewte ENSURE-Sprecher Stefan Niessen den Leiter des Energiereferats im Bundesforschungsministerium, Christoph Rövekamp, über die Ausrichtung der Energieforschung. 

Das Bild zeigt den Interviewer Herrn Niessen und den Interviewten Herrn Rövekamp in einer Fotomontage zum Thema Energie.
Mit Bildmaterial von: ©ipopba - stock.adobe.com

Bis 2050 will Deutschland klimaneutral werden. Seit über 20 Jahren fördert das Bundesforschungsministerium daher Projekte für die Energiewende. Welche Förderungen haben sich bewährt – und welche nicht?

Energieforschung ist Zukunftsvorsorge. Aber die Zukunft ist nicht immer vorhersehbar. Das führt uns heute noch einmal die Fukushima-Katastrohe vor Augen, die sich zum zehnten Mal jährt. Wegen all dieser Unwägbarkeiten steht das Bundesforschungsministerium für eine Philosophie der Technologie-Offenheit. So hat unsere Forschung im Bereich Photovoltaik den Weg dafür geebnet, dass wir nun überhaupt auf Erneuerbare Energien umschwenken können: Die Fortschritte durch die Forschungs- und Entwicklungsprojekte haben die heute extrem niedrigen Stromgestehungskosten in Photovoltaik-Modulen erst ermöglicht.

Gleichzeitig müssen wir zugeben: In der Photovoltaik dominiert immer noch die Silizium-Wafer-Technologie. Sie kommt auf einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent. Von den Dünnschicht-Technologien hat am Weltmarkt weiterhin nur Cadmium-Tellurid Bedeutung. Das bedeutet: Trotz Forschungsförderung konnten sich andere PV-Technologien, denen eine rosige Zukunft vorausgesagt wurde, noch nicht durchsetzen.

Forschung, insbesondere die Grundlagenforschung, ist die Basis für Innovation. Wir haben uns die Frage gestellt: Wo können wir Impulse setzen, auch mit Bezug auf Kostensenkungen? Mit der breit angelegten Förderung zur Materialforschung für die Energiewende konnten wir Akzente setzen. Als Beispiel nenne ich die Verringerung der Materialkosten für die Brennstoffzellentechnologie. Und schon 2011 haben wir mit der Initiative zu Speichertechnologien Grundlagen für Batterietypen entwickelt, die ohne Lithium auskommen und neue Optionen im Bereich Energiespeicher ermöglichen.

Der Interviewte

Christoph Rövekamp ist seit 2011 Leiter des Referats „Energie; Wasserstofftechnologien“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung. Zuvor arbeitete er als Referent in den Bereichen „Arbeitsmarkt, Weiterbildung, Qualifizierung und Kompetenzentwicklung“ sowie „Innovation und Transfer - Grundsatzfragen der Nachhaltigkeit“. Seit 2020 ist er zudem als außerordentlicher Professor an der Abdou-Moumouni-Universität Niamey (Niger) sowie der Universität von Gambia (The Gambia) tätig.

Neben der Entwicklung einzelnen Technologien, ist auch das Gesamtsystem zu betrachten. Wir haben daher frühzeitig damit begonnen, den gesamten Nachhaltigkeitsgedanken inklusive gesellschaftlicher Veränderungsprozesse mit in den Blick zu nehmen. Die Energiewende muss letztlich durch die Gesellschaft und durch die Wirtschaft mitgetragen werden. Die Wirtschaft muss investieren und die Gesellschaft muss den Weg aktiv mitgestalten. Deswegen ist gerade das Thema Bürgerbeteiligung ein ganz entscheidendes Anliegen. Ein Beispiel ist die Carbon Capture and Storage-Technologie. Dazu gab es zwar technologische Fortschritte und Projekte, die die Voraussetzungen zur Verpressung von CO2 im Untergrund aufgegriffen haben. Als es jedoch zur Standort-Frage für erste Demonstrationsanlagen kam, schlossen alle Bundesländer ihre potentiellen Gebiete zur CO2- Speicherung aufgrund von Vorbehalten in der Bevölkerung aus. Die Lehre daraus ist, dass wir

  1. systemische Ansätze brauchen, bei denen Technologie und Gesellschaft zusammen gedacht werden.
  2. nur mithilfe von Forschung alle Fragen der Bevölkerung beantworten können: die Grundlage für politische Entscheidungen.
  3. eine gute Kommunikation von wissenschaftlichen Fakten und Ergebnissen brauchen. 

 

Die Investitionen des Forschungsministeriums sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Können Sie uns einen Einblick in laufende Projekte geben?

Die Energiewende ist die Herausforderung unserer Zeit. Entsprechend hat das Thema CO2-Reduktion einen hohen Stellenwert. Eines der größten Projekte in diesem Bereich ist Carbon2Chem. Dabei geht es um klimafreundliche Stahlerzeugung: Im Duisburger Stahlwerk von thyssenkrupp entstehen jedes Jahr rund 20 Millionen Tonnen CO2. Das Projekt will diese Emissionen nutzen, um daraus Grundstoffe für Chemikalien, Kraftstoffe und Dünger herzustellen. Dazu hat sich ein Konsortium zusammengeschlossen, dass die Expertise von Chemie- und Stahl-Unternehmen mit Instituten aus der deutschen Forschungslandschaft bündelt. So ist es dort zum weltweit ersten Mal gelungen, Methanol aus den Abgasen der Stahlhütte herzustellen.

Der Interviewer

Stefan Niessen leitet seit 2016 das Technologiefeld Energiesysteme bei Siemens. Er hat zudem die Professur für Technik und Ökonomie Multimodaler Energiesysteme an der TU Darmstadt inne. Nach Studium und Promotion an der RWTH Aachen war Niessen in den ersten sechs Jahren der European Energy Exchange AG im Kernteam für deren Aufbau. Seine wirtschaftlichen Kenntnisse erwarb er mit einem MBA an der Duke University. Danach arbeitete er zehn Jahre für einen französischen Anlagenbauer als Leiter des internationalen Marketings und als Leiter Forschung und Entwicklung.

Neben der Abgasverwertung gibt es in der Stahl-Industrie auch den Ansatz, Eisenerz mit Wasserstoff direkt zu Eisen umzuwandeln und damit die Kohle aus der Hochofenroute zu ersetzen. Mit der Salzgitter AG führen wir dazu Studien durch, die zeigen, dass man so gut 95 Prozent der Treibhausgasemissionen einsparen kann. Von daher ist auch dieser Ansatz ganz zentral für uns.

Zudem haben wir früh festgestellt, dass wir insbesondere im Verkehrssektor noch Innovationen brauchen. In unserem Kopernikus-Projekt P2X entwickeln wir daher seit 2016 klimaneutrale Kraftstoffe aus Luft und erneuerbarem Strom. 2019 ist in dem Projekt die weltweit erste integrierte Luft-zu-Kraftstoff-Anlage in Betrieb gegangen, kommendes Jahr soll eine dreißigmal größere Anlage ans Netz gehen. Das Vorhaben NAMOSYN prüft ganz gezielt den Ersatz von klassischen Treibstoffen mit synthetischen. Mit der Klasse der Oxymethylether, kurz OME, kann Diesel ersetzt werden und zusätzlich noch die Feinstaub-Problematik gelöst werden. OME verbrennen praktisch rußfrei bei Temperaturen, bei denen keine Stickoxide gebildet werden. Hier kann also die Feinstaubproblematik behoben werden, auch bei Schwertransporten, die wir absehbar nicht elektrifizieren können.

Die größten Projekte kommen allerdings erst noch in die Förderung: Im Frühjahr starten drei Wasserstoff-Leitprojekte, die wir mit 700 Millionen Euro fördern. Damit bereiten wir Deutschlands Weg in die Wasserstoff-Wirtschaft und bringen Elektrolyseure für Grünen Wasserstoff in die Serienfertigung.

Außerdem fördern wir auch die Methanpyrolyse als eine weitere Option zur Wasserstoff-Bereitstellung: Das ist ein Verfahren, bei dem Methan in Wasserstoff und festen Kohlenstoff gespalten wird. So werden CO2-Emissionen vermieden und der Kohlenstoff kann von der Chemieindustrie weiterverwendet werden.

 

Bei Ihrem Rückblick haben Sie die Photovoltaik hervorgehoben, zu der Deutschland viel geforscht und entwickelt hat. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Die Hersteller-Industrie ist im Wesentlichen ins Ausland abgewandert. Was tut das Bundesforschungsministerium – vielleicht auch gemeinsam mit anderen Ministerien dafür, dass uns das mit den Wasserstofftechnologien nicht wieder passiert?

Das ist eine unserer größten Herausforderungen. Deutschland muss in Zukunft grüne Energie in Form von Wasserstoff importieren. Dieser Wasserstoff soll mit deutschen Technologien hergestellt werden. Ich glaube, dass wir hier durch Import- und Abnahme-Regelungen viel gestalten können. Diese Fragestellungen behandeln natürlich die zuständigen regulierenden Ministerien, also das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium und auch das Innenministerium.

Die Konferenz

Die Green Shift Konferenz findet am 01. September als hybrides Event im Umweltforum Berlin statt. Das Interview war Teil einer öffentlichen Kick-Off-Veranstaltung der Konferenz am 10 März. Die Kopernikus-Projekte sind Kooperationspartner der Messe und werden auch im September Teil des das Konferenz-Programms sein.

Deutschland hat in vielen Bereichen gerade einen guten technologischen Stand - aber wir befinden uns in einem hoch kompetitiven Wettbewerb mit großen Konkurrenzdruck! Mit der Forschungsförderung unterstützt das BMBF die Wissenschafts- und Forschungsseite. Wir wollen natürlich unsere Marktposition und unseren Technologievorsprung mit Innovationen ausbauen. Nur so können wir unsere Chancen durch Technologie-Exporte nutzen. Ich sehe hier aber auch die Ausgestaltung des regulativen Rahmens in der Pflicht, damit wir die positiven Prognosen bezüglich Arbeitsplätze bei Wasserstoff und Folgeprodukten auch einhalten können.

 

Was sind Ihrer Meinung nach Technologien, die Deutschland heute weiter voranbringen muss, weil sie zukünftig eine zentrale Rolle spielen?

Mit den Kopernikus-Projekten und den Wasserstoff-Leitprojekten haben wir Großprojekte geschaffen, die diese Frage bestmöglich beantworten können. Wir haben die Projekte so angelegt, dass Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft darin von Anfang an zusammenarbeiten. Sie prüfen regelmäßig: Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Gibt es neue Forschungsbedarfe? Wo müssen wir nachjustieren? Trotzdem setzen auch wir als Ministerium natürlich auch weiterhin Schwerpunkte. Deswegen bringen wir beispielsweise die Meerwasserelektrolyse weiter voran. Lässt sich Wasserstoff aus Meerwasser gewinnen, könnten wir Wasserstoff in sonnenreichen Regionen herstellen, ohne dass wir dafür Frischwasser benötigen. Gleichzeitig testen wir umfangreich Wasserstoff-Transport-Technologien. Denn genauso wichtig wie die Wasserstoff-Produktion ist der zügige Aufbau einer effizienten Infrastruktur.

Zukünftig wird meines Erachtens nach auch die Frage nach Wasserstoff, der nicht vorrangig aus Strom gewonnen wird, an Bedeutung gewinnen. Die Methanpyrolyse habe ich schon erwähnt, das Verfahren könnte auch auf nicht-recycelbaren Kunststoffe ausgeweitet werden. So könnten wir den Kohlenstoffkreislauf für Produkte, die im Moment doch eine erhebliche Umweltbelastung darstellen, schließen und gleichzeitig Wasserstoff gewinnen. Hierbei sehen wir insbesondere für den industriellen Einsatz noch immensen Forschungsbedarf.

Ein weiteres hochspannendes Thema ist die Chemie des Stickstoffs. Momentan läuft die Herstellung von Stickoxiden über Ammoniak, das aus dem Haber-Bosch-Verfahren erhalten wird. Mit einem Verfahren zur direkten Oxidation von Stickstoff könnten sehr große Mengen an Wasserstoff und damit Energie und Treibhausgasemissionen eingespart werden. Etablierte Industrie-Prozesse, wie hier beim Stickstoff, neu zu denken erfordert natürlich große Forschungsanstrengungen. Zweifelsohne ist das Thema energieeffiziente Industrieprozesse der Zukunft von großem Interesse, so dass wir den Bereich Katalyseforschung verstärken.