SynErgie
Wie das Kopernikus-Projekt SynErgie der Industrie dabei hilft, ihre Stromnachfrage an das Stromangebot anzupassen
Bis 2045 soll der Strom in der Bundesrepublik Deutschland vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen. Das Problem: Wind und Sonne liefern Strom nicht regelmäßig, sondern schwankend. Mal steht mehr Strom zur Verfügung als tatsächlich gebraucht wird, mal zu wenig. Das Kopernikus-Projekt SynErgie untersucht, wie die Industrie helfen kann diese Schwankungen auszugleichen, indem sie ihre Nachfrage flexibel an das Stromangebot anpasst – ihren Stromverbrauch also bewusst steigert oder senkt – ohne, dass die Qualität der Produkte darunter leidet.
Allein die Industrie verbraucht in Deutschland rund 40 Prozent des Stroms und ein Viertel der Wärme. Auf einzelne Unternehmen beispielsweise aus der Aluminium-Industrie entfallen über ein Prozent des deutschen Gesamtverbrauchs. Damit hat die Industrie das Potenzial, Schwankungen im Stromnetz signifikant auszugleichen. Wenn Wind und Sonne zu wenig Energie liefern, kann die Industrie ihre Strom- und Wärme-Nachfrage anpassen und so lange den Stromverbrauch reduzieren, bis wieder mehr Strom zur Verfügung steht. Auch das Gegenteil ist möglich: Wenn für kurze Zeit mehr Strom erzeugt als tatsächlich benötigt wird, können Unternehmen ihren Stromverbrauch bewusst erhöhen, um Stromschwankungen auszugleichen. Wissenschaftler nennen diese Anpassung „Demand Side Management“, zu Deutsch also: „Anpassung auf der Strom-Nachfrage-Seite“. Für eine gelingende Energiewende ist das Demand Side Management deshalb so zentral, weil im Stromnetz zu jeder Zeit die Nachfrage genauso hoch sein muss wie das Angebot – sonst bricht das Stromnetz zusammen.
Lösungen für besonders energieintensive Branchen
Im Kopernikus-Projekt SynErgie soll die Industrie diese Anpassungen leisten. Dazu setzt das Projekt in einem ersten Schritt auf vier Ebenen an:
Ebene 1: Zuerst hat es sich die Branchen herausgesucht, die besonders viel Strom und Wärme verbrauchen: Die Metall- und Aluminiumindustrie sowie die Papier- und Chemieindustrie (alle Industriezweige siehe Infobox). In diesen Branchen wiederum entwickelt SynErgie Lösungen, um die besonders energieintensiven Prozessschritte energieflexibel zu machen, also so zu gestalten, dass sie auch mit weniger oder mehr Stromverbrauch funktionieren. Allein dadurch können Unternehmen ihren Stromverbrauch entweder enorm senken oder enorm erhöhen.
Das sind die Partner des SynErgie-Projekts
Diese SynErgie-Partner testen Energieflexibilität in der Praxis
Ebene 2: Neben Anpassungsmöglichkeiten für einzelne Branchen untersucht SynErgie auch Lösungen für die gesamte Produktionsinfrastruktur, die sich prinzipiell auf vielzählige Branchen übertragen lassen. Auch hier konzentriert sich das Projekt nur auf die Bereiche, in denen besonders hohe Energiereduzierung und -erhöhungen möglich sind. Das ist zum Beispiel bei Klimaanlagen, Kühlhäusern und der Wärmebereitstellung, für Produktionsprozesse oder die Gebäudetechnik, der Fall. Weil energieflexible Umbauten in Fabriken häufig sehr teuer sind, haben die Partner von SynErgie zudem eine Lösung entworfen, um bei Fabrikneubauten die Energieflexibilität von Beginn an mit einzuplanen.
IT-Plattform synchronisiert Angebot und Nachfrage
Ebene 3: Damit die Produktionstechnologien aus den ersten beiden genannten Ebenen von SynErgie tatsächlich wirtschaftlich zum Einsatz kommen können, arbeiten die IT-Partner des Projekts daran, eine Softwareplattform zu entwickeln, die analysiert: Wie ist das derzeitige Stromangebot auf dem Markt – gibt es Mängel oder Überschüsse? Wie lange und wie schnell muss reagiert werden? Und: Welches Unternehmen kann gerade einspringen, um diesen Mangel oder Überschuss auszugleichen? Für diesen Abgleich zwischen Flexibilitätsangebot und –nachfrage ist eine intelligente Steuerung notwendig. Darüber hinaus wird von den Forschenden analysiert, wie Strommärkte zukünftig gestaltet sein sollen, um Unternehmen zu einem Mehr an Flexibilitätsbereitstellung zu animieren.
Ebene 4: Damit Unternehmen Anreize haben, sich so umzubauen, dass sie gezielt mehr oder weniger Strom verbrauchen können, will das Projekt zeigen, dass die entwickelten Technologien auch in der Breite effizient funktionieren. In der Energieflexiblen Modellregion Augsburg testet es daher, wie ein lokaler Ausgleich von Stromschwankungen aussehen kann – zusammen mit Energieversorgern, Netzbetreibern, Industrieunternehmen, Forschungseinrichtungen, Bürgerinitiativen und der Politik vor Ort.
Diese SynErgie-Partner sind Teil der energieflexiblen Region Augsburg
Damit Demand Side Management bald deutschlandweit zum Einsatz kommt, lädt SynErgie zudem regelmäßig zu Doktoranden-Seminaren ein, in denen die Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit haben, die eigene Forschung zur energieflexiblen Industrie mit interdisziplinären Experten zu diskutieren. Denn nur, wenn in Zukunft genügend Experten mit energieflexiblen Lösungen vertraut sind, können sie sie auch deutschlandweit und darüber hinaus umsetzen. Besuche von Projektpartnern in Unternehmen, die bereits erfolgreiche energieflexible Innovationen vorweisen können, dienen demselben Ziel.
Konzepte, um rechtliche Hindernisse auszuräumen
Parallel dazu arbeiten SynErgie-Wissenschaftler heraus, wie groß die Potenziale der industriellen Nachfrageanpassung in Zukunft sein könnten: Um wie viel können Unternehmen ihre Nachfrage für wie lange erhöhen oder senken? Und zwar regional, deutschlandweit und international?
Schon jetzt sind die Ergebnisse von SynErgie vielversprechend. Trotzdem gibt es derzeit noch kaum Anreize für Unternehmen, in einen energieflexiblen Umbau zu investieren. Denn noch bestraft die Gesetzgebung Unternehmen mit schwankendem Stromverbrauch – statt sie dafür zu belohnen. Die SynErgie-Partner arbeiten deshalb Konzepte aus, wie die Gesetzgebung künftig aussehen müsste, damit Unternehmen Anreize haben, sich so zu verhalten, dass sie dem Stromnetz dienen. Dazu braucht es auch Geschäftsmodelle, wie Unternehmen dafür entlohnt werden können, dass sie dem Stromnetz kurzzeitig aushelfen. Denn energieflexible Umbauten sind nicht nur teuer, häufig senken sie auch die Lebensdauer der Anlagen, in denen sie umgesetzt werden. Entsprechend arbeiten in SynErgie Energieversorger, Netzbetreiber, Industrieunternehmen, Wissenschaftler und Bürgerinitiativen zusammen daran, Umsetzungsmöglichkeiten für Demand Side Management zu entwickeln, die am Ende allen nutzen.
Kopernikus-Projekt SynErgie: Bisherige Erfolge
SynErgie konnte ermitteln, wie viel Energie die deutsche Industrie bei Netzschwankungen entweder mehr oder weniger verbrauchen könnte. Das Ergebnis:
- Wenn im Netz mehr Strom zur Verfügung steht, als eigentlich gebraucht wird, könnte die deutsche Industrie ihre Nachfrage für eine Minute um 3,6 Gigawatt (GW) erhöhen. Das entspricht der Leistung von rund 1030 Windrädern an Land (Onshore). Muss die Industrie über längere Zeit aushelfen, kann sie ihre Nachfrage für mindestens 15 Minuten um immerhin rund 1,5 GW erhöhen (Leistung von 430 Onshore-Windrädern).
- Wenn im Netz weniger Strom zur Verfügung steht, als gerade gebraucht wird, könnte die Industrie ihre Nachfrage für eine Minute um rund 5 GW senken (Leistung von 1430 Onshore-Windrädern) – und für mindestens 15 Minuten um rund 3,3 GW (Leistung von 940 Onshore Windrädern).
Die flexible Anpassung der Industrie an Schwankungen des Stromnetzes wird vor allem bei jenen Unternehmen bereits angewandt, die besonders große Mengen Strom verbrauchen. Deutschlands größter privatwirtschaftlicher Stromverbraucher ist der Essener Aluminiumhersteller TRIMET. Auf TRIMET entfallen jährlich 1,6 Prozent des gesamten deutschen Strombedarfs. Bis zum Start von SynErgie war TRIMET auf die konstante Nutzung von Strom angewiesen: Jede Schwankung hätte die Aluminiumöfen vor Ort zerstören können. Durch den starken elektrischen Strom entsteht in den riesigen Elektrolyseuren ein Magnetfeld. Schwankt der Strom, schwankt das Magnetfeld – der ganze Ofen gerät aus dem Gleichgewicht. SynErgie hat zusammen mit TRIMET nun einen Weg gefunden, das Magnetfeld auch bei schwankendem Strom konstant zu halten. Dadurch kann das Essener Unternehmen seinen Stromverbrauch für bis zu zwei Tage um 22,5 Megawatt erhöhen oder senken. Das entspricht der Leistung von etwa 25.000 Drei-Personen-Haushalten.
Ähnlich viel Strom wie TRIMET verbrauchen die Luftzerlegungsanlagen des Gaskonzerns Linde. Luftzerlegung bedeutet, Luft in ihre Bestandteile zu zerlegen, um seltene Gase zu gewinnen. Bisher ist das nur mit konstant hohem Strom möglich. SynErgie hat gemeinsam mit Linde und MAN Energy Solutions Simulationen und Anlagen entwickelt, die zeigen, dass auch das Verfahren der Luftzerlegung mit schwankendem Strom betreibbar ist.
Die Flexibilisierung der Industrie birgt gewaltige Potentiale zur Stabilisierung des deutschen Stromnetzes. Die Gesetzgebung in ihrer heutigen Form bestraft Maßnahmen der Flexibilisierung allerdings eher, als dass sie dafür Anreize schafft. So sind beispielsweise Netzentgelte und die EEG-Umlage an konstanten Stromverbrauch gekoppelt. Aus diesem Grund hat SynErgie ein ausführliches Positionspapier und eine Zusammenfassung erarbeitet, welche Regularien einer Anpassungen bedürfen, um das Potenzial der Industrie auch nutzen zu können. Wie sich das Strom-Markt Design langfristig verändern müsste, um Netzrestriktionen und Flexibilitätspotentiale – insbesondere auf der Nachfrageseite – zu berücksichtigen, zeigt ein SynErgie-Whitepaper beziehungsweise dessen Zusammenfassung.
Um Flexibilisierungs-Technologien in der Industrie auch breit anwenden zu können, braucht es Wissen und Diskurs darüber. Daher hat SynErgie in bisher drei Doktorandenseminaren interdisziplinären Austausch zwischen jungen Wissenschaftlern und Ingenieuren ermöglicht. Teilgenommen haben jeweils über dreißig Personen.