20.10.2022 Ariadne

Energiesouveränität: Ariadne listet alle Stellschrauben auf

Wie Deutschland die Gaskrise hinter sich lassen kann, thematisiert eine neue Studie. Mehr als 30 Fachleute des Kopernikus-Projekts Ariadne bieten erstmals im Modell- und Szenarienvergleich einen Überblick, welche Stellschrauben und Spielräume zur Verfügung stehen. Zentraler Dreh- und Angelpunkt sind dabei Einsparungen beim Gasverbrauch.

Das Bild zeigt eine Hand, die bei einem aus einzelnen Holzwürfeln zusammengesetzten Word einen Würfel auf einen anderen Buchstaben dreht, sodass aus dem Wort Change (Veränderung) das Wort Chance wird.
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„Deutschland braucht nicht nur einen Weg durch den nächsten Winter, sondern auch Wege zu langfristiger Energiesouveränität und Klimaneutralität. Diese Wege zeigen wir jetzt auf“, sagt Gunnar Luderer, Vize-Leiter des Ariadne-Projekts vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK. „30 Prozent des Gasverbrauchs aus Vorkrisenzeiten müssen runter, um nicht nur eine Gasmangellage mit Lieferunterbrechungen zu vermeiden, sondern auch die Gaspreise und verbleibenden Importabhängigkeiten auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Kurzfristig ist das der wichtigste Baustein, um Deutschlands Energiesouveränität und geopolitische Resilienz wieder zu erhöhen“, so Luderer.

Dass Energiesicherheit und Klimaschutz dabei Hand in Hand gehen können, zeigt die Studie auf der Basis von sechs Modellen und zwei grundlegenden Szenarien auf. Allein die Reduktion des Gasverbrauchs führt zu einer Verringerung von 50 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr gegenüber dem Mittel des Zeitraums 2017 bis 2021. Ein Teil der Gaseinsparung basiert zwar auf Verwendung von Kohle oder Heizöl. Die dadurch entstehenden Mehremissionen sind jedoch durch den europäischen Emissionshandel gedeckelt.

Kurzfristige Maßnahmen beginnen im heimischen Wohnzimmer

Das Potenzial in den Einzelsektoren ist da, erfordert jedoch eine Trendwende in den Bereichen Energiewirtschaft und Gebäudewärme. Der Anteil der Gasverstromung in der Energiewirtschaft beispielsweise ließe sich bis 2023 um bis zu 50 Prozent und bis 2025 um bis zu 80 Prozent senken. Notwendig hierfür wäre, Erneuerbare Energien entschieden auszubauen und - zeitlich begrenzt! - Kohlekraftwerke stärker zu nutzen.

„Das größte Potenzial für die kurzfristige Senkung des Gasverbrauchs im Gebäudesektor liegt in einer Anpassung des Heizverhaltens in den eigenen vier Wänden – also zum Beispiel das Absenken der Raumtemperatur um ein oder zwei Grad, die Nutzung der Heizung nach Bedarf statt im Dauerbetrieb oder intelligente Heizungsregler“, erläutert Christoph Kost, Ko-Leiter des Ariadne-Arbeitspakets Wärmewende am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE. „Zusammen mit einem beschleunigten Hochlauf von Wärmepumpen, dem Anschluss an Fern- und Nahwärmenetze und einer stärkeren energetischen Sanierung des Gebäudebestands ließen sich im Gebäudesektor kurzfristig gut 30 Prozent des Gasbedarfs einsparen. Die beschleunigte Wärmewende senkt auch langfristig den Gasbedarf und bringt den Sektor auf Kurs für die Klimaneutralität.“

Einsparpotenzial in der Industrie: bis zu 50 Prozent

„Im Industriesektor hat kurzfristig hat vor allem ein Brennstoffwechsel in der Dampferzeugung, in Teilen auch der Industrieöfen, das Potenzial, einen wesentlichen Minderungsbeitrag zu leisten“, sagt Andrea Herbst, Ko-Leiterin des Ariadne-Arbeitspakets Industriewende am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Bis 2025 ließe sich so der Gasverbrauch theoretisch um knapp 50 Prozent reduzieren. „Dieser Wechsel kann jedoch auch einen erhöhten Einsatz von Heizöl und Biomasse umfassen. Die schnellere Elektrifizierung in der Dampferzeugung – etwa durch hybride Systeme, die den Einsatz von Strom und Erdgas ermöglichen – und eine beschleunigte Entwicklung CO2-neutraler Verfahren für große Einzelanlagen sind deshalb essenziell, um langfristig auf dem Pfad zur Klimaneutralität zu bleiben.“

„Energiesicherheit und Klimaschutzziele sind kein Widerspruch – im Gegenteil. Kurzfristig notwendige Politikinterventionen können und sollten also auf beide Ziele einzahlen“, sagt Ottmar Edenhofer, Leiter des Ariadne-Projekts und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. „Das A und O sind konsequente Gaseinsparungen – nur so lässt sich der durch die Energiekrise entstandene Schaden für die deutsche und europäische Bevölkerung und Wirtschaft wirksam eingrenzen. Ebenso wichtig sind jedoch auch Maßnahmen zur sozialen Abfederung, die vor allem die von hohen Energiepreisen besonders betroffenen einkommensschwachen Haushalte entlasten.“


Gunnar Luderer, Frederike Bartels, Markus Blesl, Alexander Burkhardt, Ottmar Edenhofer, Ulrich Fahl, Annika Gillich, Andrea Herbst, Kai Hufendiek, Markus Kaiser, Lena Kittel, Florian Koller, Christoph Kost, Robert Pietzcker, Matthias Rehfeldt, Felix Schreyer, Dennis Seibert, Luisa Sievers (2022): Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise - Wie sich Klimaschutz und Energiesouveränität vereinen lassen. (Download: rechte Spalte)

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