17.06.2022 Ariadne

So könnte der EU-Emissionshandel auf Wärme und Verkehr gerecht ausgestaltet werden

Die Erweiterung des Emissionshandels auf den Gebäude- und Transportsektor (ETS2) ist ein Kernelement des Fit-for-55-Pakets der Europäischen Kommission und gleichzeitig politisch hoch umstritten. Ziel des ETS2 ist, durch einen technologieneutralen CO2-Preis Anreize für klimafreundliche Investitionen und Innovationen zu setzen. Die Deckelung der Emissionen ist zudem ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität. Teile der Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen über einen Social Climate Fund (SCF) Haushalten zur Verfügung gestellt werden, um diese finanziell zu entlasten. Aber wie genau diese Entlastung erfolgen und wie hoch der CO2-Preis sein sollte, wird kontrovers diskutiert.

Das Bild zeigt Schornsteine einer Fabrik bei Nacht.
© Stefan Loss - stock.adobe.com

Anfang Juni hat das EU-Parlament einen alternativen Vorschlag erarbeitet, der substanziell vom Vorschlag der EU-Kommission abweicht. Einen Konsens zu finden, erscheint schwierig – sollte dies jedoch nicht gelingen, würde das Fit-for-55-Paket an entscheidender Stelle stark geschwächt.

Fachleute des Ecologic Institute, des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change, der Stiftung Umweltenergierecht, des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung Stuttgart (IER) haben in zwei aktuellen Ariadne-Publikationen verschiedene Optionen zu Entlastung und Höhe des CO2-Preises analysiert. Dabei haben sie Vor- und Nachteile sowie Voraussetzungen zur Umsetzung der verschiedenen Optionen identifiziert. Im Fokus der Forschenden stehen zwei politische Kernstreitpunkte – die wissenschaftlichen Erkenntnisse könnten verhindern, dass sich die Positionen verhärten, und einen für den Klimaschutz zielführenden Konsens herbeiführen.

Der erste Kernstreitpunkt: die Ausrichtung des Social Climate Fund (SCF)

Bisher ist noch unklar, ob der Social Climate Fund ein neuer tragender Transfermechanismus der europäischen Klimapolitik mit großem finanziellem Umfang werden soll – oder doch eher eine europäische Ergänzung zu sozialpolitischen Entlastungsmechanismen einzelner Mitgliedstaaten.

Eine Alternative wäre ein sogenannter „Social Climate Mechanism“. Dieser würde gewisse EU-weite Standards für eine faire Kompensation vorgeben, jedoch die Einnahmen aus dem Verkauf von Zertifikaten nicht über den EU-Haushalt, sondern direkt an die Mitgliedstaaten verteilen. Zudem könnte der finanzielle Umfang des Fonds geringer ausfallen, wenn gezielt Haushalte mit geringem Einkommen und gleichzeitig hohen Energieausgaben entlastet würden. Rund 10 Prozent der Erlöse aus dem Emissionshandel würden dafür ausreichen. Im Gegensatz dazu müssten mehr als 40 Prozent der Einnahmen verwendet werden, um alle Verbraucher mit einem Einkommen unterhalb des EU-Durchschnitts unabhängig von ihren Energiekosten zu entschädigen.

Der zweite Kernstreitpunkt: Sollte der Preis für ETS2-Zertifikate gedeckelt werden?

Fraglich ist, ob die Notwendigkeit zur Entlastung auch reduziert werden kann, indem der Preis für ETS2-Zertifikate gedeckelt wird – oder Haushalte, im Gegensatz zu Unternehmen, erst später einen Preis für CO2 bezahlen müssen. Eine solche Deckelung oder Eingrenzung würde zwar die direkte finanzielle Belastung von Haushalten reduzieren und entsprechend den Umfang des Social Climate Funds mindern. Gleichzeitig müssten dann aber ergänzende Maßnahmen – etwa technologische Standards oder Subventionen – in großem Umfang umgesetzt werden. Die effektiven Kosten für private Verbraucher würden damit deutlich ansteigen, weil die Flexibilität fehlt, die Emissionen dort zu verringern, wo es am günstigsten ist.

Ein nicht gedeckelter Preis hätte allerdings den Effekt, dass manche EU-Mitgliedstaaten viel mehr Emissionen vermeiden würden, als sie nach der EU-Lastenteilung (ESR) zur Sicherstellung der Solidarität im Klimaschutz tatsächlich müssten. Um die Solidarität entsprechend zu gewährleisten, müssten Länder mit einer Übererreichung diese im Rahmen des ESR-Anrechnungssystems an reichere Länder mit ambitionierteren Zielen verkaufen können. Dieser Handel zwischen den Mitgliedstaaten ist – unabhängig vom ETS2-Preis – aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert: Fast alle Mitgliedstaaten erreichen dadurch substanzielle Wohlfahrtsgewinne von bis zu 400 Euro pro Person. Bisher jedoch ist dieser Handel zwischen den Mitgliedstaaten schleppend und politisch überformt, was Reformen zur Erhöhung der Liquidität und Transparenz des Marktes dringend erforderlich macht.

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