16.11.2021 Ariadne

Durchstarten trotz Unsicherheiten: So müsste eine anpassungsfähige Wasserstoffstrategie aussehen

Grüner Wasserstoff und eFuels spielen zentrale Rollen im Energiesystem der Zukunft. Fragt sich nur: Welche Rolle spielen sie genau? Denn derzeit lassen sich nur unsichere Aussagen über künftige Wasserstoff-Technologien treffen. Der Grund: Noch sind die meisten von ihnen im Entwicklungsstadium zwischen Labor und Industrie. Wie die Politik trotzdem robuste Entscheidungen treffen kann, zeigt ein Kurzdossier aus dem Kopernikus-Projekt Ariadne.

Das Bild zeigt eine grün-türkische Farbwolke, die in Wasser emporsteigt.
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Fest steht: Egal welchen Weg Deutschland in Richtung Klimaneutralität einschlägt – ohne Grünen Wasserstoff und wasserstoffbasierte Kraftstoffe (eFuels) geht es nicht. In diesem Punkt stimmen die neuesten Zukunftsszenarien der Initiative „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Deutschen Energie-Agentur (dena) und des Kopernikus-Projekts Ariadne überein.

Wasserstoff gilt als Shootingstar der alternativen Energieträger. Er ist klimaneutral, speicherbar, flexibel einsetzbar und theoretisch nahezu unendlich verfügbar. Er kann im Energie-, Verkehrs- und Wärmesektor sowie in der Industrie eingesetzt werden. Bereiche, die das Klima heute am meisten belasten und in denen eine Elektrifizierung nur schwer oder gar nicht umsetzbar ist, können erst mit seiner Hilfe klimafreundlich gestaltet werden.

Damit Grüner Wasserstoff aber wirklich zum Superstar wird, muss er in großen Mengen verfügbar und günstig sowie effizient transportierbar werden. Ob das klappt, wie schnell und unter welchen Bedingungen, ist bisher noch nicht sicher abschätzbar. Denn noch gibt es weder eine industrielle Wasserstoff- oder eFuel-Produktion, noch die notwendige Infrastruktur für den Transport des Wasserstoffs.

Für die Politik gilt es daher, trotz einer Vielzahl von Unsicherheiten, zielführend in ein klimaneutrales Energiesystem 2045 zu navigieren. „Wir haben deshalb konkurrierende Leitbilder in der Wasserstoffdebatte untersucht und plausible Wasserstoffpfade entlang der aktuell vorliegenden fünf großen Szenario-Analysen miteinander verglichen“, so Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Forscher im Kopernikus-Projekt Ariadne. „Im Ergebnis legen wir Eckpunkte vor, die Orientierung geben sollen für eine adaptive Wasserstoffstrategie und notwendige Lernprozesse“

Große Bandbreite steht nicht für Spielräume, sondern Unsicherheiten und Risiken

Das Kurzdossier der Experten aus sechs Ariadne Partner-Instituten zeigt: In den kommenden Jahren ist die Rolle von Wasserstoff und eFuels vor allem durch ihre geringe Verfügbarkeit begrenzt. Bis 2030 werden daher beide nur untergeordnete Rollen spielen können. Auf Kurs zur Klimaneutralität 2045 sollten in einer „Dekade der Elektrifizierung“ die Kapazitäten Erneuerbarer Energien verdreifacht werden, batterieelektrische Fahrzeuge die Pkw-Neuzulassungen dominieren und etwa fünf Millionen Wärmepumpen installiert werden. Gleichzeitig müsse jedoch der Markthochlauf von Wasserstoff bereits heute mit großem politischem Nachdruck verfolgt werden.

Nach 2030 sei die Bandbreite der Szenarien im Hinblick auf die Wasserstoff- und eFuel-Nutzung zwar groß. Dies solle jedoch nicht einfach als technologischer oder politischer Spielraum interpretiert werden, sondern vor allem als Raum der Unwägbarkeiten. Technologische Unsicherheiten erforderten ein schrittweises Vorgehen und eine laufende Anpassung der Wasserstoffstrategie entlang von Lernprozessen, folgern die Ariadne-Autoren. Solange Unklarheit über realisierbare Wasserstoffmengen und -preise herrscht, sollte Wasserstoff vor allem dort eingesetzt werden, wo es keine Alternativen durch die direkte Elektrifizierung gibt – etwa in der Industrie bei der Ammoniak- oder Stahlproduktion, bei eFuels etwa im Fernflug- oder Schiffsverkehr. Denkbar sei auch Wasserstoff aus fossilen Quellen als zeitlich begrenzte Brückentechnologie – allerdings begleitet durch Zertifizierung, Regulierung und entsprechende Bepreisung von Emissionen. Nur so könne sichergestellt werden, dass Treibhausgasemissionen tatsächlich reduziert und nicht nur verlagert werden.

Eine erfolgreiche Wasserstoffstrategie ist eingebettet in eine Klimaschutzstrategie

Erst in den kommenden Jahren würde absehbar, wie viel Wasserstoff Deutschland tatsächlich produzieren kann, welche Mengen importiert werden können, wie viel erneuerbare Energie zur Verfügung steht und zu welchen Preisen Wasserstoff und eFuels am Markt erhältlich sind. „Mit diesen Erkenntnissen können Marktakteure und Politik besser über Einsatzgebiete von Wasserstoff entscheiden und so die Energiesysteme der Zukunft gestalten“, sagt Benjamin Pfluger von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG, einer der Autoren der Studie. „Wird hingegen bereits jetzt auf eine breite Verfügbarkeit von günstigem Wasserstoff und eFuels gesetzt und diese Erwartungen erfüllen sich nicht, drohen ein fossiler Lock-in, hohe Kosten und eine Verfehlung der Klimaziele.“

Eine erfolgreiche Wasserstoffstrategie müsse zudem in eine Klimaschutzstrategie eingebettet werden, die den Unsicherheiten sowohl von Wasserstoff und eFuels als auch der direkten Elektrifizierung Rechnung trägt, betonen die Ariadne-Fachleute. Diese integrierte Strategie müsse sich weder auf ein Wasserstoff-Leitbild noch auf einen langfristigen Pfad des gesamten Energiesystems festlegen. Stattdessen ermögliche sie der Politik, gemeinsame Lernprozesse mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft anzustoßen und adaptiv auf Basis neuer Erkenntnisse zu reagieren.

Diese sechs Forschungsinstitute waren am Ariadne-Kurzdossier beteiligt
  • Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK
  • Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG
  • Technische Universität Darmstadt
  • Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI
  • Paul Scherrer Institut
  • Institut für Vernetzte Energiesysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)

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